Vom Spezialisten für Kabeleinführungen zum Systemlöser

2023-03-23 17:55:56 By : Mr. Xiangqian Xie

Vor 100 Jahren startete Pflitsch mit der Herstellung von elektrotechnischen Komponenten. Nun expandiert das Familienunternehmen mit einem neuen Werk und wird zu einem Kompetenzzentrum für Kabelkanäle.

Als Ernst Pflitsch sich 1919 mit seiner „Ernst Pflitsch & Co., elektrotechnische Fabrik“ selbstständig machte, war die Elektrifizierung in Deutschland in vollem Gange. Heute hat das Unternehmen über 300 Mitarbeiter und ist in gut 45 Ländern aktiv.

Angetrieben von Neugierde und der Suche nach Erfindungen war der 33-jährige Firmengründer Ernst Pflitsch mit elektrotechnischen Komponenten in Berührung gekommen. Für die wachsende Elektrifizierung stellte er in seiner eigenen Fabrik ab 1919 Bauteile her für die Hausinstallation wie Leuchtenzubehör, Lüsterklemmen und Stecker, aber auch Bauelemente für elektrische Geräte, Muttern, Stifte und Schrauben aus Messing.

In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland in den 1960er-Jahren schlug Pflitsch neue Wege ein: Die Wahl fiel auf Kabelverschraubungen – ein Kerngeschäft, mit dem das Familienunternehmen bis heute weltweit führend ist. Zunächst ersetzte Sohn Otto Pflitsch die sogenannten Stopfbuchsen aus Bakelit oder Messing, die umständlich verkittet werden mussten, durch Messingbuchsen mit einem Gummiring, der beim Anziehen einer Überwurfmutter so gequetscht wurde, dass sich der Spalt zum durchgeführten Kabel schloss – ein Konzept, das sich bis heute noch in vielen Kabelverschraubungen findet.

Der nächste Entwicklungsschritt folgte, als Klemmlamellen integriert wurden, um die Zugentlastung zu erhöhen – auch das ist bis heute ein Standard. Der Nachteil dabei: Der Kabelmantel wurde irreparabel eingeschnürt, was langfristig zu Undichtigkeiten führte. Das war für Pflitsch unakzeptabel. Nach einer Schwachstellenanalyse schufen Otto und sein Neffe Harald Pflitsch etwas völlig Neues: das System UNI Dicht. 1965 krönte das Deutsche Patentamt diese Pflitsch-Entwicklungsarbeit: Unter der Patentnummer 1 263 134 wurde die „Mutter der modernen Kabelverschraubungen“ beschrieben und geschützt. Dieses sechseckige Bauteil mit weichen Dichteinsätzen und dem damals gängigen Panzergewinde (Pg) sollte bald schon seinen internationalen Siegeszug antreten.

Bei vielen Kunden im In- und Ausland stieß Pflitsch damit auf großes Interesse, zum Beispiel bei Automobilherstellern und Maschinenbauern. 1971 kam mit der UNI Dicht PA6-3 die erste Kunststoff-Kabelverschraubung auf den Markt. Der Clou bei den Pflitsch-Kabelverschraubungen: Beim Anziehen der Druckschraube legt sich der Dichteinsatz großflächig und schonend um das Kabel, was serienmäßig hohe Schutzarten bis IP68 ermöglicht, die Beschädigung des Kabelmantels durch Einkerbung verhindert und für höhere Zugentlastungen sorgt.

Im Laufe der Jahre hat Pflitsch eine Vielzahl von Problemlösungen entwickelt: EMV- und Ex-Schutz, das Einführen von Flach- und Sonderkabeln oder konfektionierten Kabeln durch geteilte Dichteinsätze oder von mehreren Leitungen durch eine Mehrfach-Kabelverschraubung wurden ebenso realisiert wie Winkel- und Flanschverschraubungen und die Kombinationsmöglichkeiten mit Wellrohren und Schutzschläuchen für einen mechanischen Kabelschutz.

Jüngstes Beispiel für die Entwicklungsfähigkeiten des UNI-Dicht-Baukastens ist die Umsetzung der aktuellen Brandschutznormen der Bahn: Hier hat Pflitsch mit einem verbesserten TPE-Material für die Dichteinsätze die hohen Anforderungen mehr als erfüllt. Die Kabelverschraubungen aus Hückeswagen sind daher uneingeschränkt in Zügen – ob auf freier Strecke, im Tunnel oder im Bahnhof – einsetzbar.

UNI Dicht gibt es aktuell in den Größen M4 bis M120, weiterhin auch in den entsprechenden Pg-Maßen und mit internationalen Sondergewinden wie NPT, CTG oder Zoll. Die Verschraubungskörper sind in Messing, Zink, Edelstahl, Aluminium und in den Kunststoffen PVDF und PA 6(3) verfügbar. Eine Vielzahl internationaler Zertifizierungen wie EN, CSA, UL und PCT sowie Werkszulassungen machen den weltweiten Einsatz möglich.

Bis Mitte der 1980er-Jahre wurden Kabel in der Industrie meist mit individuell angefertigten Kabelpritschen und Kabelwannen durch Maschinen und Anlagen geführt. Harald Pflitsch – geschäftsführender Gesellschafter in der dritten Generation – hatte die Idee, mit standardisierten Kanalsystemen die mechanische Führung zu optimieren, die Fertigungs- und Montagezeiten zu reduzieren und die Kabelführung wirtschaftlicher zu machen.

In Deutschland führte Pflitsch daraufhin den Industriekanal ein, ein Kanalsystem aus hochwertigem Stahlblech, das dank der etwa hundert Formteile wie T-Stücke, Kreuzungen, Bögen die individuelle Kabelführung sicherer und wirtschaftlicher machte. Durch den scharnierten oder abnehmbaren Deckel kann der Elektriker die benötigten Kabel einfach einlegen und bei Bedarf ergänzen oder sie wieder herausnehmen. Heute umfasst das IK-Programmsystem 13 verschiedene Querschnitte von 50 mm × 50 mm bis 600 mm × 150 mm.

Mit dem Aufkommen der Automatisierung stieg seit Mitte der 1990er-Jahre der Bedarf an Installationsmitteln, um einzelne Kabel in Maschinen oder Anlagen, zum Beispiel zu Sensoren oder Aktoren mechanisch geschützt zu führen. Vielfach nutzten Anwender dazu das bekannte Stapa-Rohr. Als bessere Alternative brachte Pflitsch den PIK-Kanal für kleine Kabelvolumina auf den Markt, den es mit zehn Querschnitten ab 15 mm × 15 mm gibt. Sein Deckel lässt sich abnehmen, um Kabel einfach einzulegen oder wieder herauszunehmen.

Mit Inkrafttreten der EU-Norm EN 50262 (heute EN 62444) für metrische Bauteile brachte Pflitsch die Baureihe Blueglobe auf den Markt: Mit ihrem unverlierbarem Dichteinsatz erreichte diese Kabelverschraubung einen deutlich größeren Dichtbereich, eine bessere Zugentlastung und eine höhere Dichtigkeit als Marktstandards. Bei dieser Kabelverschraubung reichen zum Beispiel drei Größen aus, um Kabeldurchmesser von 4 bis 32 mm sicher mit IP 68 abzudichten.

Seitdem hat Pflitsch das Blueglobe-Programm aus Metall- und Kunststoff-Kabelverschraubungen um Trendprodukte erweitert: Mit der Version TRI wurde eine EMV-Kabelverschraubung realisiert, die für Cat-7A-Datenkabel zugelassen ist. Mit der Blueglobe Clean Plus ist Pflitsch Vorreiter mit EHEDG-zertifizierten Varianten aus Edelstahl und Kunststoff für den Hygienebereich in der Lebensmittelindustrie, der Chemie- und Pharmatechnik. Versionen für hohe Temperaturen und hohe Drücke bis 30 bar sind konzipiert für die moderne Prozesstechnik.

Seit Beginn dieses Jahrtausends ist ein Trend unverkennbar: Immer mehr Unternehmen fokussieren sich auf ihre Kernkompetenz und lassen fertige Module und Baugruppen von Zulieferern realisieren. Diese sind meist anschlussfertig mit Steckern oder Klemmleisten versehen, die aber nicht durch herkömmliche Kabelverschraubungen passen. Also entwickelte Pflitsch teilbare Systeme wie den UNI Flansch.

Diese Leitungseinführung aus Kunststoff oder Zinkdruckguss besteht aus zwei Rahmenplatten, die exakt zu Standard-Blechausschnitten für 24-polige schwere Steckverbinder passt. In diese Platte sind drei Verschraubungskörper integriert, die im Aufbau dem UNI-Dicht-System entsprechen. Geteilte Druckschraubungen runden die Produktlösung ab. Das System erreicht mit IP 66 einen umfassenden Schutz gegen Strahlwasser aus allen Richtungen und verhindert das Eindringen von Staub.

Auch für einzelne Bohrungen hat Pflitsch eine Lösung geschaffen: Bei der UNI Split Gland bestehen der Verschraubungskörper und die Druckschraube aus zwei Teilen, die bei der Installation sicher miteinander verrastet werden. Verfügbar sind Typen aus Polycarbonat sowie aus Zinkdruckguss für erhöhte mechanische Anforderungen und extreme Einsatztemperaturen.

Um die Konfektionierung eines Kabelkanals einfach, schnell und präzise zu machen, hat Pflitsch schon seit Jahren Werkzeuge und mobile Maschinen im Programm. Mit denen lassen sich die geraden Kanalteile sauber und ergonomisch ablängen, Ausbrüche realisieren und Deckel bearbeiten. Ebenso gibt es eine abgestimmte Befestigungstechnik für eine einfache Montage in der jeweiligen Umgebung.

Mit dem Baugruppen-Service eröffnet das Unternehmen seinen Kunden die Zukunft: Denn statt den individuellen Kanalverlauf für eine Maschine von Hand zu planen, zu konfektionieren und einzubauen, bietet Pflitsch basierend auf dem Planungstool Easyroute 4.0 heute schon ein Maximum an Effizienz. Ist der Kanalverlauf mit allen Details am CAD-Bildschirm geplant, erzeugt das Programm die Daten für Bestellung und Fertigung aller Teile, die dann bei Pflitsch exakt zu Baugruppen gefertigt werden. Diese werden pünktlich und zum Fixpreis ans Montageband des Kunden geliefert und können dort Stück für Stück eingebaut werden. Die Projektdaten lassen sich jederzeit abrufen und auf sich ändernde Baupläne anpassen.

Für alle Produktreihen hat Pflitsch die Konstruktionsdaten der Bauteile online verfügbar. In verschiedenen Formaten können Anwender weltweit diese Daten herunterladen, um Bauteile zum Beispiel in Angebote, Ausschreibungen oder Montageanleitungen einzupflegen oder die Kabelverschraubungen und Kabelkanäle bereits in der Konstruktionsphase in CAD-System einzubinden.

Aktuell führt mit Roland Lenzing und Matthias Stendkte die vierte Generation das erfolgreiche Familienunternehmen. Für das Jubiläumsjahr haben die beiden die Weichen auf Zukunft gestellt: „1919 hatte unser Urgroßvater Ernst Pflitsch erkannt, dass die Elektrifizierung der damaligen Welt ein großes Wachstumspotenzial bietet. Heute sprechen wir von Industrie 4.0, also der umfassenden Digitalisierung von Prozessen und der Kommunikation zwischen Herstellern und Kunden. Das haben wir beispielsweise mit unserem Dienstleistungspaket rund um die Kabelkanal-Baugruppen längst eingeläutet: Hier laufen Planung und Abstimmung mit dem Kunden digital. In unserem neuen Werk 2 wird die Fertigung mit einem hohen Automatisierungsgrad arbeiten, sodass die einbaufertigen Kanalsysteme – am CAD-Bildschirm geplant – pünktlich beim Kunden eintreffen“, erklärt Lenzing.

Stendtke ergänzt: „Durch die Ausgliederung der Kanalfertigung entsteht im Stammwerk wieder Raum für Expansionen im Bereich der Kabelverschraubungen. Wir werden hier die Metall- und Kunststoff-Fertigung erweitern sowie unser Entwicklungs- und Prüflabor ausbauen. Mit unserem Automatischen Kleinteilelager und seinen über 25.000 Stellplätzen stehen aktuell Tausende Systemteile bereit, aus denen unsere Mitarbeiter an modernen Arbeitsplätzen computergestützt montieren und die gewünschten Kabeleinführungen realisieren.“ Gut 2800 Ein- und Auslagerungen pro Tag verzeichnet Pflitsch durchschnittlich im AKL. Übers Jahr verlassen etwa 40.000 Pakete das Werk in Hückeswagen mit einer hohen Lieferperformance. Denn das AKL ist als vollautomatisiertes Lagersystem in der Lage, die Kundenaufträge termingerecht zu steuern.

* Walter Lutz ist Fachjournalist in 35708 Haiger

Auf der Jagd nach dem Mikrometer

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